Mittwoch, 18. September 2013

Interview mit Dr. Klaus Albrecht Schröder, 12. 9. 2013

Bei der Bombenexplosion in der Saline in Ebenee am 23. September 1963 wurde der damals 36jährige Rittmeister Albrecht Schröder schwer verletzt - ein Gespräch mit seinem Sohn, dem heutigen Direktor der Albertina. 

Quelle: www.arbeiterzeitung.at
Wie hat das Attentat das Leben Ihrer Familie verändert?


Ich habe meinen Vater ein halbes Jahr lang nicht gesehen und nicht mitbekommen, was da geschehen ist. Meine Mutter hat das von uns völlig ferngehalten, uns beschützt vor diesem sehr dramatischen Einschnitt. Wir haben nur gehört, mein Vater ist schwer verletzt. Meine Mutter war dann viele Monate nicht da, sie war Tag und Nacht beim meinem Vater. Er lag eingewickelt im Spital. Man wusste nicht, kommt er durch oder nicht und wenn ja, in welcher Gestalt – blind, taub oder schwerst versehrt. Das hat sie von uns völlig ferngehalten. Obwohl das alles in den Medien war, durften wir keine Zeitung lesen, kein Fernsehen sehen. Wir waren sehr mit uns beschäftigt und konfrontiert mit den ärgsten Gerüchten – ich bin zum Beispiel in die Klasse gekommen und meine Mitschüler haben gesagt: ‚Ich habe gehört, Dein Vater ist aufgeschlitzt worden’ – alles absurde Gerüchte. Als wir meinen Vater zum ersten Mal im Spital besucht haben, hat man dann schon gemerkt hat, dass er auf einem Auge wieder sehen wird. Wie es dann weitergehen würde, war aber auch zu diesem Zeitpunkt noch offen.

Erst sehr viel später bin ich mit dem Ereignis immer wieder direkt konfrontiert worden. So etwa als ich den ‚Der Mann ohne Eigenschaften‘ nachgelesen und darin eine Widmung gefunden habe. Mein Vater hat nämlich ab 1964 am Tag des überlebten Attentats einen zweiten Geburtstag gefeiert. Und da hat ihm meine Mutter dieses Buch geschenkt. Später bin ich noch einmal intensiv damit konfrontiert worden, als ich gleich nach der Mittelschule im Landesinvalidenamt gearbeitet habe – das war 1975 und da wurde gerade das neue Gesetz zur Wiedergutmachung von Verbrechensopfern verabschiedet. Zufälligerweise habe ich als ersten Akt den der Witwe von Gruber [Inspektor Kurt Gruber wurde bei der Bombenexplosion getötet] bekommen, von dem letztendlich nur der Handabdruck auf der Wange meines Vater geblieben ist.


Was ist am 23. September 1963 genau passiert?
An den Tag, an dem das passiert ist, kann ich mich erinnern, als ob es gestern gewesen wäre – weil er natürlich ganz einschneidend war. Die politische Dimension, wie es eigentlich dazu gekommen ist, hat sich mir erst viel später erschlossen. Meine Mutter, die sehr resolut war, wenn wir uns irgendwie weh getan haben, wollte – als der Anruf gekommen ist, dass eine Bombe explodiert ist und mein Vater gleich abgeholt wird – nicht, dass er hinfährt. Als Chef der Kriminalabteilung blieb ihm aber keine Wahl, auch weil sich Innenminister Franz Olah angesagt hatte. Deswegen trug er an diesem warmen Spätherbsttag auch einen dicken grauen Anzug, aus dem ich später eine Skihose geschnitten bekommen habe. Und deswegen sind hunderte Splitter direkt vor dem Herzen stecken geblieben – das war das Glück dieses dicken Anzugs. Gruber dagegen trug nur wegen des heißen Tags nur ein Hemd und hatte keine Chance, als die Bombe detonierte.

Das zweite Glück im Unglück, das mein Vater hatte, war, dass er in diesem Augenblick gerade den Sonnenstand beobachtete und die Splitter daher von unten kamen. Interessanterweise ist das Auge auf der geschwärzten Gesichtshälfte – wo auch der Handabdruck des Gruber zu sehen war – wieder sehend geworden. In das andere ist ein Splitter eingedrungen. Glück hatte mein Vater auch, weil er nicht ohnmächtig wurde – sonst wäre er nach der Explosion in der ausgetretenen Sole ertrunken. Stattdessen konnte er auf allen vieren aus dem Auffangbecken herausklettern. Dann war noch etwas Unglück dabei – bei einem dritten Beamten, der nicht so schwer verletzt wurde, war die Verletzung der Augen gleich zu sehen – und so wurde er gleich in die Augenklinik gebracht, während man meinen Vater nach Linz gefahren hat. Da hat Olah beste medizinische Versorgung veranlasst – durch einen Augenspezialisten, der auch das Augenlicht auf einer Seite gerettet hat. Der Arzt hat dann später erzählt: Man hat ihn angerufen, dass er sofort kommen muss und die Polizei fuhr ihn mit 200 Sachen nach Linz, weshalb ihm noch im OP die Beine zitterten. Der konnte gar nicht operieren, so durcheinander war er momentan. Insgesamt musste mein Vater 42 Operationen über sich ergehen lassen.

Woran ich mich heute noch sehr genau erinnere – nachdem mein Vater an diesem Morgen gegangen war, habe ich mit meiner Mutter aufgeräumt. Da hat sie ein schwarz gerahmtes Bild meines Vaters gefunden. Da sagte sie: „Das müssen wir umrahmen – da sieht der Vater ja aus, als ob er tot ist.“

Sind Sie mit der juristischen Aufarbeitung des Falls zufrieden?
Ich hab mir dazu die Meinung meines Vaters angeeignet: Einige Jahre nach dem Anschlag, als einige der Attentäter zu kurzen Strafen verurteilt wurden, habe ich meinen Vater gefragt, ob er das nicht für eine schreiende Ungerechtigkeit hält. Er hat gesagt: Ich war da nicht gemeint, das waren politische Terrorakte, hier ist Staatspolitik betrieben worden. Er hat das nie irgendjemanden, glaube ich, krumm genommen. Das waren politische Kämpfe, in deren Mündungsfeuer einmal ganz kurz auch die Familie Schröder oder mein Vater geraten ist.

Mein Vater war 15 Jahre lang Chef der Kriminalabteilung, er hat in dieser Zeit nur einen Fall nicht klären können. Er war zuständig für die Sicherheit des Kennedy-Schärf-Treffens (1961) und sehr populär. Zwei Jahre nach dem Attentat ist er in Frührente gegangen, hat dann Rechtswissenschaften studiert und wurde Anwalt. Er ist 2003 an einem Herzinfarkt verstorben, nicht in Folge des Attentats.