Mittwoch, 21. Mai 2014

„Sprengung der im Bau befindlichen amerikanischen Raketenbasen“ – der Südtirolkonflikt und der Kalte Krieg

Norbert Burger (1929-1992) war eine Schlüsselfigur der rechtsextremen Szene in Österreich. Der begeisterte Burschenschafter gründete 1953 den Ring Freiheitlicher Studenten, studierte Rechtswissenschaften und brachte es zum Universitätsassistenten in Innsbruck. In den 1960er Jahren war Burger tief in den Südtirolterrorismus verstrickt. Von ihm rekrutierte junge Attentäter gingen 1961 auf den sogenannten „Kinderkreuzzug“, um den Terror nach Italien zu tragen. Die mitgeführten Molotowcocktails explodierten aber teilweise vorzeitig und verletzten einen der Aktivsten schwer. Später soll Burger in tödliche Attentate gegen italienische Züge und Bahnhöfe verwickelt gewesen sein. Seiner politischen Karriere tat dies keinen Abbruch: 1967 gründete Burger die Nationaldemokratische Partei (NDP), deren Programm im Wesentlichen mit dem Zielen der NSDAP übereinstimmte, wie der Verfassungsgerichtshof später feststellte. Bis zur behördlichen Auflösung 1988 war die NDP ein zentrales Sammelbecken der Rechten.

Aus einem kürzlich freigegebenen Dokument (Österreichisches Staatsarchiv/Archiv der Republik) ergibt sich ein neues Detail zu Burgers Rolle in Südtirol – im Rahmen einer Vernehmung nach seiner Verhaftung in Klagenfurt (1961) gab er an, im Jahr davor die USA vor möglicher Sabotage gegen NATO-Stützpunkte in Südtirol gewarnt zu haben: Von der Sowjetunion gesteuerte Agenten hätten zu entsprechenden Aktionen aufgestachelt. Um diese Botschaft zu überbringen, kontaktierte Burger den in Spanien lebenden Otto Skorzeny: Dieser hatte im Zweiten Weltkrieg Spezialkräfte der SS befehligt und war bis zu seinem Tod 1975 in Waffenhandel und Geheimdienstaktivitäten verstrickt.

Im Verhör, das am 22. September 1961 stattfand, gab Burger an: „Es wurde mir von meinen Südtiroler Freunden bekannt, dass sich Russland für die Südtiroler Sache zu interessieren beginnt und zwei Südtiroler – es kann auch schon im Herbst 1959 gewesen sein – von aus der Sowjetunion stammenden Leuten angeworben wurden, sich in der UdSSR auf einer Agentenschule ausbilden zu lassen und diesem Angebot auch nachgekommen seien. Wie mir mitgeteilt wurde, sei ihnen dort auch das Angebot gemacht worden, jede Menge Sprengstoff zu bekommen, unter der Voraussetzung, dass ein Teil dieses Sprengstoffes zur Sprengung der im Bau befindlichen amerikanischen Raketenbasen (in Südtirol) verwendet werden. Ich selbst kenne die Leute nicht, die wie mir mitgeteilt wurde von diesem Angebot Gebrauch machten, doch stammte diese Nachricht aus für mich absolut zuverlässiger Quelle. Ich sah in diesem Tatbestand eine große Gefahr und habe die Südtiroler auf das Ausdrücklichste von der Annahme gewarnt. Auch sie selbst waren als überwiegend tief religiöse Menschen grundsätzlich nicht bereit, dieses östliche Angebot anzunehmen, ersuchten mich, ob ich ihnen nicht irgendwelche Quellen für Sprengstoff eruieren könnte, was ich auch tatsächlich versucht habe, jedoch ohne Erfolg. […] Bezüglich der amerikanischen Raketenbasen in Südtirol, […], habe ich den Versuch unternommen, der mir auch geglückt ist, mit entsprechenden amerikanischen Stellen Kontakt aufzunehmen. Ich beschritt dabei den Weg, dass ich die Bekanntschaft des in Madrid lebenden Oberst a. D. Skorzeny suchte und dieser mir schließlich auch gestattete, ihn in Madrid zu besuchen. Ich habe mich deswegen an ihn gewendet, weil mir aus verschiedenen Zeitungsmeldungen bekannt war, dass er zu den Amerikanern gute Beziehungen unterhalte. Ich las davon, dass er vor den in Spanien stationierten amerikanischen Offizieren am Unabhängigkeitstag die Festrede gehalten hat, was mich seine Person für mein Vorhaben besonders geeignet erscheinen ließ. Ich suchte Skorzeny im Juli v. J. auf, trug ihm mein Anliegen vor und machte mich dieser mit einem gew.[issen] David Right bekannt, der, so viel mir mitgeteilt wurde, ein führender Mann in der Abwehr sein soll. Ich selbst wurde ihm nicht unter meinem richtigen Namen vorgestellt, um nicht in Zukunft vom amerikanischen Nachrichtendienst behelligt zu werden. Das Gespräch mit Herrn Right dauerte über vier Stunden […].“ Burger zufolge erklärte der amerikanische Geheimdienstler, „dass er meinen Ausführungen durchaus Glauben schenke und einen entsprechenden Bericht an seinen Chef weiterleiten würde. Wie ich später erfuhr, wurden die in Bau befindlichen Raketenbasen angebl. nicht fertig gebaut, sollte mein Gespräch in Madrid mit beigetragen haben, so würde ich mich darüber freuen.“

Ein Memorandum der CIA vom 25. Jänner 1962 bestätigt, dass Skorzeny und Burger tatsächlich miteinander in Verbindung waren: “Skorzeny in 1960 was in contact with the Austrian terrorist groups operating in the Tyrol through Dr. Norbert Burger, an Austrian right-wing leader with alleged contact with the French ultras.”

Was die Situation in Südtirol für die USA so speziell machte, war die neuralgische Lage in Westeuropa zwischen den Schlüssel-NATO-Staaten Italien und Westdeutschland. Vor allem Italien war ein „Eckpfeiler“ im Mittelmeerraum. Darüber hinaus bildete der Südtiroler Grenzabschnitt zu Tirol und Kärnten im Norden eine Außengrenze der westlichen Allianz gegenüber dem neutralen Österreich, dem „weichen Bauch im NATO-Leib“. Mit dem angrenzenden Jugoslawien befand sich weiters der kommunistische Machtblock in unmittelbarer Nähe. Dieser strategischen Bedeutung Südtirols trug die NATO insofern Rechnung, indem sie zahlreiche Basen einrichtete. In der Nähe von Brixen, auf der Hochfläche von Natz-Schabs, befand sich seit dem Ende des 2. Weltkriegs ein US-Stützpunkt. Ab 1979, nach dem Nachrüstungsbeschluss, wurden in den dortigen unterirdischen Bunkern atomare Lance-Raketen deponiert. Im weiteren Umkreis befanden sich zudem wichtige NATO-Stützpunkte wie die Aviano Air Base (Atomwaffenlager) und das alliierte Streitkräfte-Kommando für Südeuropa (LANDSOUTH in Verona).

Ein „Mitmischen“ im Südtirolkonflikt bot dem Osten daher die Möglichkeit, einen „dauerhaften Krisenherd inmitten des Westens zu schüren“ (Michaela Koller-Seizmaier). Unglücklicherweise ist die Aktenlage zur Frühphase des Konflikts spärlich. Angeblich soll der Aktivist Georg Klotz 1960 sogar überlegt haben, in der sowjetischen Botschaft in Wien direkt Hilfe einzuholen, wie sich seine Tochter Eva erinnerte: „Er habe dann gesagt, ‚Nein mit den Kommunisten mich verbünden, das kann ich nicht als Tiroler, als wertkonservativer Mensch nicht tun’. Und so ist er dann nicht hineingegangen.“ 1967/68 soll sich dann der tschechoslowakische Geheimdienst an Klotz „herangemacht“ haben: „Ich kann mich ganz genau an den Typen erinnern. Wir waren mit unserem Vater in Absam im Exil in Nordtirol. Da ist dieser Robert aus Tschechien gekommen, der meinen Vater überzeugen wollte, man müsse zuerst eine Bank ausrauben, in Südtirol, um zu Geld zu kommen, dann müsse man einige italienische Kasernen stürmen.“ Zu dieser frühen Involvierung von Ost-Geheimdiensten existiert auch ein Dokument in den Beständen der Stiftung Bruno Kreisky Archiv. Der westdeutsche Journalist Herbert Lucht teilte dem damaligen Außenminister Kreisky 1963 brieflich mit: „Interessant mag vielleicht noch sein, dass Mittelsmänner der Sowjetischen Botschaft in Wien 1960 bereits, vor der ersten ‚Terrorwelle’ also, an die ‚Bumser’ herangetreten sein und ihnen finanzielle und auch materielle Unterstützung unter der Bedingung zugesagt haben sollen, dass sie ihre ‚Aktionen’ auch auf die in Südtirol befindlichen NATO-Basen ausdehnten. Sie hätten diese Forderung abgelehnt und seither die Feindschaft der Kommunisten gegen sich, die im ‚Südtiroler Freiheitskampf’ als dem einzigen ‚nicht ihre schmutzigen Finger hätten’.“

Das Südtirol-„Problem“ hatte das Potential, sowohl zwischen wichtigen NATO-Ländern, als auch zwischen Italien und dem neutralen Österreich Keile zu treiben. So musste die instabile Lage in Südtirol zwangsläufig für Unruhe sorgen: Dem ORF-Korrespondenten Franz Kössler erzählte ein US-Geheimdienstmitarbeiter, der in den 1960er Jahren beim militärischen Abschirmdienst der NATO in Verona stationiert war, dass er nach der „Feuernacht“ (1961) beauftragt wurde, zwei in Südtirol eingedrungene sowjetische Agenten zu kontrollieren: Den USA sei es um den in einem Konfliktfall für die NATO äußerst wichtigen Nachschubweg über den Brenner gegangen. Außerdem wurde ein Terrorangriff auf Natz-Schabs befürchtet. Doch der Alarm sei nach einigen Monaten wieder abgeblasen worden. Das neue Dokument zu Burger ist insofern ein weiterer Puzzlestein, um die Bedeutung des Südtirolkonflikts im Zusammenhang mit dem Kalten Krieg besser zu verstehen.