Mittwoch, 3. September 2014

„Erhöhtes Augenmerk“: Wie Österreich auf den Münchner Olympiaanschlag 1972 reagierte

Es war die "Stunde null" des internationalen Terrorismus: 1972 nahm der „Schwarze September“ israelische Sportler als Geiseln. Binnen Stunden waren alle tot. Welche Folgen hatte diese Tragödie in Österreich?  

Ganz Österreich hoffte am 4. September 1972 auf Olympiagold. Denn mit Leichtathletin Ilona Gusenbauer war eine der besten Hochspringerinnen der Welt im Münchner Olympiastadium am Start. Doch im Finalwettkampf vor 80.000 Zuschauern, darunter auch Bundeskanzler Bruno Kreisky, unterlag die Favoritin völlig überraschend der erst 16jährigen Deutschen Ulrike Meyfarth und belegte schließlich Platz 3. Was damals niemand ahnte – es sollte der letzte Tag der „heiteren Spiele“ von München sein. In den Morgenstunden des 5. September 1972 überfielen palästinensische Terroristen das Quartier der israelischen Mannschaft und nahmen elf Geiseln. Zwei der Sportler wurden gleich ermordet. Alle neun weiteren Israelis starben noch am selben Abend, als ein dilettantischer Befreiungsversuch der bayrischen Polizei scheiterte. Die Konsequenzen des Münchner Dramas sollten in Österreich und weit darüber hinaus spürbar sein.

Denkmal für die Opfer, Olympiapark München (Quelle: Wikimedia Commons)
Noch am Vormittag, als die Geiselnahme voll im Gange war, tagte in Wien zufälligerweise der Ministerrat. Offenbar hatte man zu diesem Zeitpunkt noch keine Informationen über die Ereignisse. Nur eingangs berichtete Kreisky von seiner Kurz-Visite und meinte, dass sich die österreichischen Sportler „recht gut geschlagen haben“. Durch die Olympiade sei München zu einer der modernsten und schönsten Städte der Welt geworden. Wenn die Debatte anstehe, ob sich Österreich um die Durchführung eines ähnlichen Ereignisses bewerben solle, müsse man diese „Folgeerscheinungen“ bedenken.

Nun war es das Terrordrama, das sofortige Reaktion erforderte: Um 8.30 Uhr, am 6. September 1972, fand eine Besprechung beim legendären Wiener Polizeipräsidenten Josef Holaubek statt. Angeordnet wurde die Überwachung israelischer und arabischer Botschaften, von Fluggesellschaften und der Israelitischen Kultusgemeinde. Auch die Schutzmaßnahmen für das Lager jüdischer Auswanderer in Schönau wurden verstärkt. Das „erhöhte Augenmerk“ zahlte sich aus: Am 20. September 1972 wurden fünf Briefbomben, die an die israelische Botschaft adressiert waren, entschärft.

Währenddessen machten in den Medien Gerüchte über vier eingereiste „schwerbewaffnete Araber“ die Runde – Terroranschläge gegen die Pipelines, Raffinieren und Tanklager seien geplant.  Die „Wochenpresse“ beschrieb die nervöse Stimmung, die sich breit machte: „Gegenwärtig sind in Österreich mehr als 500 schwerbewaffnete Polizisten zum Schutz der Adria-Wien-Pipeline abkommandiert. Israelische und arabische Vertretungen stehen unter Bewachung. Mehr als 2.000 Araber, die in Österreich leben, werden von der Staatspolizei überprüft.“  Die Anspannung, die zum Teil durch die emotionale Medienberichterstattung angeheizt worden war, machte sich auch in xenophoben Übergriffen Luft. Die Kronen Zeitung musste ihre Leser daran erinnern, „Menschlichkeit, Moral, Recht und Gesetz“ nicht zu vergessen: „Alle Araber und sogar andere Gäste in unserem Land, die man für Araber halten könnte, wurden beschimpft und bespuckt. Arabische Kolporteure sind hasserfüllt von Autofahrern gerammt worden. […] Von uns Österreichern sagt man, wir seien ein tolerantes, gemütliches und liebenswürdiges Volk. Die Art, wie sich einige von uns jetzt gegen die Araber verhalten, droht diese Beurteilung zu widerlegen.“  Als rund tausend Kurier-Leser brieflich und telefonisch verlangten, die arabischen Kolporteure der Zeitung sollten „gefälligst verschwinden“, stellte Kolumnist Hermann Stöger klar: „Man muss es heute ganz einfach sagen: Auch Araber sind Menschen.“

Neben dem Generalverdacht durch die Öffentlichkeit hatten diese auch unter Fahndungsmaßnahmen zu leiden: Die Staatspolizei überprüfte und beobachtete speziell Treffpunkte und Unterkünfte von „hieramts bekannten Arabern und speziell Palästinensern“. Diese hätten sich generell „sehr ängstlich“ gezeigt – so hätten sich am Folgetag der Geiselnahme „nur sehr wenige“ arabische Zeitungskolporteure auf den Straßen Wiens blicken lassen. „Allgemein gesagt, haben die Araber große Angst, dass jetzt die Israelis zurückschlagen werden oder dass Personen auf Grund eines anderen fremdländischen Auftrages Aktionen gegen die Araber durchführen werden“, heißt es in einem Bericht. Immer wieder würde den Arabern klar gemacht, „dass sie nie ohne Überwachung sind, dass bei eventuellen Vorfällen mit fremdenpolizeilichen Maßnahmen zu rechnen hätten und dass sie sich an die Österreich geltenden Gesetze und Bestimmungen halten müssen“.

Damals lebten mehr als 2.000 Araber in Österreich, die Hälfte davon Ägypter. Da sich viele als Studenten ausgaben, aber 1971/72 nur 574 ordentliche Hörer aus arabischen Ländern an den Universitäten registriert waren, kamen angesichts der Lücke Sicherheitsbedenken auf. In der BRD kam es infolge des Attentats innerhalb kürzester Zeit zur Ausweisung von tausenden Arabern. In Österreich machte Justizminister Christian Broda seine Ablehnung einer solchen Präventivmaßnahme deutlich. Das „geistige Klima“ und die „innere Sicherheit“ wären wichtiger als konkrete polizeiliche Vorsichtsmaßnahmen, die auch „überdreht“ werden könnten. Es gab allerdings auch Druck in die Gegenrichtung: Am 8. September 1972 sprach der israelische Botschafter Yitzhak Patish vor. Man möge erwägen, ob die derzeitige „liberale“ Haltung gegenüber den hier lebenden arabischen Studenten und deren Aktivitäten „nicht zugunsten einer härteren Vorgangsweise revidiert werden sollte“. Eine Woche später legte Patish nach: Man wäre in Israel doch „überrascht“ gewesen, „dass von österreichischer Seite auf die deutschen Maßnahmen hinauf spontan erklärt worden sei, dass man nicht daran denke, die Visapflicht für die arabischen Studenten wieder einzuführen“. Diese stelle eine „Einladung zur einer Benützung österreichischen Territoriums für die Vorbereitung von Terrorakten dar“. Patish wurde entgegnet, dass ohnehin nur tunesische und marokkanische Studenten visumfrei einreisen dürften. Man unterstütze die Maßnahmen gegen den Terror, aber diese dürften nicht zu einer „anti-arabischen Kampagne“ verwendet werden.

Ähnlich abwägend reagierte Österreich auf einen US-amerikanischen Vorstoß: Am 14. September 1972 wurde ein „Non Paper“, also ein inoffiziellen Arbeitsdokument, übergeben. Dieses zielte darauf ab, „die Unterstützung Österreichs für den amerikanischen Standpunkt hinsichtlich des Terrorismus zu gewinnen“. Außerdem wollte man die Regierung zu einer Verurteilung des palästinensischen Terrors bewegen. Kreisky wies an, in Hinblick auf bevorstehende Gespräche in Washington, von einer Antwort abzusehen.

Nur wenige Monate nach dem Münchner Olympiadrama sollte Österreich selbst mit dem Nahostterror konfrontiert sein: Anfang 1973 hatte der „Schwarze September“ geplant, das Auswandererlager Schönau zu überfallen. Das Vorhaben konnte rechtzeitig durchkreuzt werden. Doch die Bedrohung durch den internationalen Terrorismus sollte Österreich noch länger begleiten.