Freitag, 26. September 2014

NS-Kriegsverbrecher im Sold von westlichen Diensten: Das Beispiel Otto von Bolschwing und die Spionagestadt Wien

Die Geschichte von Wien als Stadt der Geheimdienste begann nach Kriegsende 1945. Betrachtet man diese Entstehungsphase, dann bleibt von Spionageromantik freilich wenig über. So war es ursprünglich die Hauptaufgabe des in Österreich eingesetzten Counterintelligence Corps (CIC), des Geheimdiensts der US-Armee, gewesen, NS-Verbrecher zu jagen. Doch durch den Kalten Krieg verschob sich die Priorität schon innerhalb weniger Monate hin auf die Beobachtung der sowjetischen Besatzungsmacht. Österreich wurde ab diesem Zeitpunkt zu einem Bazar der Spione: Ein pensionierter CIA-Offizier beschrieb es anschaulich so: Alle möglichen ehemaligen Angehörigen von Abwehr, Gestapo, Reichsicherheitshauptamt (RSHA) Amt VI und faschistischer Organisationen aus Zentral- und Südeuropa hätten den Nachrichtendiensten fabrizierte Informationen feilgeboten, um die man sich dann gestritten hätte, „wie so viele Frauen in der Schnäppchenabteilung von Macy’s am Tag nach Weihnachten“.

Nachkriegs-Wien als „Bazar“ der Geheimdienste
Ein Bericht für die CIA von 1949 listet insgesamt 17 verschiedene nachrichtendienstliche Gruppen auf, die zu diesem Zeitpunkt in Österreich aktiv waren: Neben dem unter Anleitung von Maximilian Ronge im Aufbau befindlichen Militärgeheimdienst verfügten auch die Großparteien SPÖ und ÖVP über eigene Informations-Dienste ebenso wie die katholische Kirche. Hinzu kamen zwei jeweils für Großbritannien und Frankreich tätige Netzwerke. Fünf weitere dieser selbstständig operierenden und miteinander konkurrierenden Organisationen wurden von ehemaligen SD-Mitarbeitern, SS- und HJ-Angehörigen angeführt.

NS-Kriegsverbrecher als Informationsquellen
Das CIC hatte seit 1946 in diesen Kreisen rekrutiert: Eine Untersuchung des US-amerikanischen Office of Special Investigations (OSI) kam 1988 zum Schluss, dass das CIC in Österreich 13 ehemalige Funktionäre des NS-Sicherheitsapparats anwarb und man über Tausende von Informanten verfügte. Für das CIC galt sprichwörtlich die Philosophie, wonach das Ziel, die Mittel heiligt. Die Mitgliedschaft in der SS oder einer anderen NS-Organisation war kein Kriterium, um als Informant abgelehnt zu werden. Das ehemalige NS-Sicherheitspersonal nützte jedenfalls diese Schwäche aus und war bestrebt, so viel Eigennutzen wie möglich aus der Kooperation mit den westlichen Diensten zu ziehen. Letztere wiederum schnitten sich ins eigene Fleisch: Denn die „braune“ Vergangenheit machte erpressbar. Und auf diese Weise wurden beispielweise im BND hochrangige Mitarbeiter von östlichen Geheimdiensten als „Maulwürfe“ angeworben und richteten beträchtlichen Schaden an.

Otto von Bolschwing und seine „Netze“
In Österreich gibt es zahlreiche Beispiele für diese unheilige Allianz. Bislang weniger bekannt sind die nachrichtendienstlichen Netze, die von dem ehemaligen SS-Hauptsturmführer Otto von Bolschwing (1909-1982) zunächst für die Organisation Gehlen (Vorläufer des BND) und dann für die CIA aufgezogen wurden. Bolschwing war bereits in den 1930er Jahren als SD-Agent im Nahen Osten aktiv gewesen. Nach dem Anschluss 1938 assistierte er Adolf Eichmann bei der Enteignung und Deportation österreichischer Juden. Zwei Jahre später rückte Bolschwing zum SD-Führer in Rumänien auf, wo er 1941 an einem antijüdischen Pogrom mit mehr als 600 Opfern beteiligt war.  Eben wegen seiner engen Beziehungen zu Exilanten der „Eisernen Garde“, einer rumänischen Faschistengruppe und guten Kontakten im Balkanraum, wurde Bolschwing 1947 in Österreich von der Organisation Gehlen rekrutiert. Allerdings fiel er rasch in Ungnade, weil er die gewünschten operationellen Informationen nicht lieferte. Dafür wurde er 1950 von der CIA übernommen, die sich ebenso viel von seinen „drei rumänischen Projekten“ erhoffte.  Bolschwing blieb allerdings dabei, schwerpunktmäßig über politische Angelegenheiten, vor allem Interna aus Österreich, zu berichten.

Wie ein CIA-Bericht vermerkte, betrachtete er diese österreichische Berichterstattung als den „aircraft carrier“, von dem aus er am Balkan operiere („[…] insists that he cannot strip this complex with out harmstringing himself“).  Seine Aktivitäten in Wien führte Bolschwing unter Tarnung der US-amerikanisch geförderten Austria Verlag GmbH einer Zweigstelle der österreichischen Liga für die Vereinten Nationen. Bolschwing benützte diese Position, um 1948 – unterstützt von US-Geheimdienststellen – die österreichische Staatsbürgerschaft zu beantragen und sich von der Entnazifizierungskommission von NS-Aktivitäten freisprechen zu lassen.  Als gegen die Austria Verlags GmbH wegen Steuervermeidung ermittelt wurden, verweigerte das CIC den österreichischen Behörden  jede Unterstützung, weshalb die Untersuchung Ende 1950 eingestellt werden musste. 

Ehemaliger Sitz der Austria Verlag GmbH in der Wiener Innenstadt

Otto Schulmeister und Wolfgang Pfaundler als Informanten
Ein CIA-Dokument gibt Aufschluss über die insgesamt zehn verschiedene Informantennetzwerke, die Bolschwing in Österreich aufgebaut hatte: So war das „EE net“ für Verbindungen zur katholischen Kirche zuständig – neben drei Geistlichen finden sich auch die Namen des Priesters und Kunstsammlers Otto Mauer sowie des Journalisten Otto Schulmeister. Letzterer war über rund drei Jahrzehnte Chefredakteur und Herausgeber der Tageszeitung „Die Presse“. 1961/62 wurde er unter dem Decknamen GRCAMERA von der CIA angeworben.

Das „HH net“ wiederum stand unter Leitung des früheren SS-Obersturmführers Anton Fellner, eine der „Sub-sources“ war der frühere Gauinspektor in Oberdonau, Stefan Schachermayer. Im „SS net“, das Kontakte in der SPÖ beinhaltete, stechen die Namen des späteren Bundesministers für Verkehr und Elektrizitätswirtschaft, Otto Probst, sowie des Nationalratsabgeordneten und späteren Tiroler Landesrats, Rupert Zechtl, hervor. Im Stab von Bolschwings Hauptquartier („CC net“) befand sich weiters neben dem früheren SS-Obersturmführer Anton Böhm der Widerstandskämpfer und spätere Südtirolaktivist, Wolfgang Pfaundler, mit dessen Schwester Bolschwing verheiratet war. Weitere Netze galten Verbindungen zur österreichischen Polizei in Salzburg, Wien und Oberösterreich („PP net“) sowie in die Vorarlberger Sicherheitsdirektion („TT net“).

CIA-Dokument listet Bolschwings Informanten auf
(Auszug, Quelle: www.foia.cia.gov/collection/nazi-war-crimes-declassification-act)
Wie schon zuvor die Organisation Gehlen wurde auch die CIA unzufrieden mit ihrem Agenten: Dieser habe in erster Linie veraltete Informationen geliefert (etwa die Identifizierung von Personen und Gruppen, die längst bekannt waren),  weshalb ihm eine Re-Orientierung seiner Aktivitäten auf „satelite operations“ in kommunistisch kontrollierten Nachbarländern, Aufklärung der sowjetischen Truppenstärke und Kontakte zu politischen Parteien sowie dem Sicherheitsapparat in Österreich verordnet wurden. Anfang 1953 schätzte die CIA die jährlichen Kosten für das „Project GROSSBAHN“ (darunter Bolschwing und seine Quellen) auf 20.000 Dollar. Noch im selben Jahr entschieden allerdings die CIA-Führungsoffiziere, dass es Zeit war, Bolschwings Netzwerke stillzulegen. Dafür unterstützte man erfolgreich seine langjährigen Bemühungen, US-Bürger zu werden.

Im Gefolge des Eichmann-Prozesses (1961) wurden dann immer mehr Details über Bolschwings NS-Vergangenheit bekannt und es stellte sich heraus, dass er über seine Mittäterschaft gelogen hatte. Um nicht in Verlegenheit zu geraten, wurde er seitens der CIA weiter protegiert und nicht an das US-Justizministerium oder an westdeutsche Behörden gemeldet. Erst in den früheren 1980er Jahren wurde Bolschwing endgültig als Kriegsverbrecher enttarnt. Man erlaubte dem Schwerkranken aber 1982 in den USA zu sterben.