Sonntag, 1. März 2015

Die dunkle Seite des Finanzplatzes Wien

Immer wieder gerät Wien als ein bevorzugter Wohn- oder Anlageort osteuropäischer Oligarchen, arabischer Potentaten und umstrittener Exilanten in die Schlagzeilen. Der Tod des kasachischen Ex-Botschafters Rakhat Aliyev in der Justizanstalt Wien-Josefstadt ist ein aktueller Anlass, sich mit den Hintergründen zu beschäftigen – neben der hohen „Lebensqualität“, der zentralen geografischen Lage und laschen Strafen für Spionage spielt noch ein weiterer Faktor eine Rolle: Wegen seiner Intransparenz ist der Finanzplatz Österreich seit Jahrzehnten Anziehungspunkt für „schmutziges Geld“.

Rakhat Alijev (Quelle: Evstafiev/Wikimedia Commons)
Steueroase Österreich
Im „Schattenfinanzindex“ des Tax Justice Network von 2013 belegte Österreich Platz Nr. 18: Weit vor den als Steueroasen berüchtigten britischen Jungferninseln (20), Liechtenstein (33), den Bahamas (35), Zypern (41) oder Irland (47). Österreich ist damit ein wesentlicher Teil der internationalen Steuervermeidungs-Strukturen – auch wenn diese Tatsache von der heimischen Politik oft in Abrede gestellt wird. Nicholas Shaxson definierte „Steueroase“ 2011 folgendermaßen: „Steueroase ist ein Ort, der Geschäfte anlocken will, indem er eine politisch stabile Infrastruktur zur Verfügung stellt, um Personen und Firmen dabei zu helfen, sich den Regeln, Gesetzen und Regulierungen anderer Gebietskörperschaften zu entziehen.“

Auf Österreich trifft diese Charakterisierung aus folgenden Gründen zu:

  1. Laut § 38 Bankwesengesetz, einem Verfassungsgesetz, sind österreichische Banken zu einer Auskunftsverweigerungspflicht hinsichtlich der Geschäftsbeziehung mit Bankkunden verpflichtet. Dieses Bankgeheimnis ist nur in gesetzlich geregelten Einzelfällen und unter Einhaltung strenger Verfahrensvorschriften aufgehoben. An ausländische Behörden werden grundsätzlich keine direkten Auskünfte erteilt.
  1. Ein ausländischer Kunde muss sich zwar bei Kontoeröffnung ausweisen, braucht aber keine Informations-Weitergabe an seine heimische Steuerbehörde fürchten. Erst wenn tatsächlich ein Strafverfahren gegen ihn eingeleitet ist, kann auf richterlichen Beschluss in Österreich das Konto geöffnet werden.
  1. Ausländische Anleger können wählen, ob sie anstatt der in der EU üblichen Kontrollmitteilungen an das Finanzministerium eine anonym abgeführte Quellensteuer auf Zinseinkünfte bevorzugen. Obwohl diese Abgabe schrittweise auf 35 Prozent erhöht wurde, gibt es weiter einen Zufluss von Geldströmen. Schließlich ändert die Quellensteuer nichts daran, dass der Kunde das in Österreich veranlagte Vermögen vor dem ausländischen Fiskus geheimhalten kann.
  1. Österreich bietet beachtliche Steuerprivilegien: Einerseits durch das Stiftungsrecht, andererseits sind Vermögen durch die Abschaffung von Vermögens- und Erbschaftssteuern praktisch steuerfrei. Die Zahl österreichischer Stifter und Begünstigter (darunter auch Oligarchenstiftungen mit Sitz in Wien) beträgt laut dem Journalisten Florian Horcicka "zwischen 3000 und 6000 Rechtssubjekte".
  1. Österreich verfolgt eine lange Tradition, internationale Bemühungen im Kampf gegen Steuerhinterziehung zu unterlaufen. So wurde 2003 eine Einigung über länderübergreifende Zinsbesteuerung beschlossen. Seither melden EU-Staaten automatisch Namen und Daten von Sparbuchbesitzern an deren Heimat-Finanzämter. Österreich leistete langen hartnäckigen Widerstand dagegen – 2014 lenkte man ein und erklärte sich als letztes EU-Land bereit, den Informationsaustausch mit Oktober 2016 umzusetzen.
Auszug aus einem Bericht des US-State Departments zum Thema Geldwäsche (2014)
"Sicherer Hafen für Geld"
Aus historischer Sicht waren das Bankgeheimnis und die Anonymität der Sparbücher bei ihrem Beschluss im Jahr 1945 durchaus sinnvoll. Die Banken benötigten damals zur Finanzierung des Wiederaufbaus Geld, weshalb man Vermögende in die Filialen „locken“ wollte. Heute profitiert die breite Mehrheit der Bevölkerung nicht mehr vom Bankgeheimnis, dafür blühen Steuervermeidung und Geldwäsche. Österreich genieße den Ruf als "sicherer Hafen für Geld", heißt es in Florian Horcickas Buch "Das schmutzige Geld der Diktatoren": "Neben der Schweiz und Liechtenstein genießt Österreich für seine finanzielle Diskretion nämlich Weltruhm. Nirgendwo anders lässt sich Vermögen einfacher investieren, tarnen und dann wieder außer Landes schaffen als in Wien oder Salzburg. Und es bleibt hierzulande genug hängen, um die Maschinerie aus Banken, Rechtsanwälten, Beratern, Steuerexperten und Polit-Günstlingen am Leben zu erhalten."

Gazprom-Drehscheibe Wien

Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion flossen enorme Geldmengen aus Osteuropa nach Österreich. „Seit Anfang der neunziger Jahre konnten sich bekannte kriminelle Autoritäten ein schönes Leben in den Wiener Luxushotels machen oder prächtige Villen in ganz Österreich kaufen. Mit ihren prallen Geldbündeln, weil sie den Banken noch nicht vertrauten, war in Österreich sowieso vieles zu kaufen, nicht nur Sachwerte wie Immobilien oder Edelmarken-Luxuskitsch“, befindet der deutsche Experte in Sachen organisierter Kriminalität, Jürgen Roth. Ein gutes Beispiel für die Tätigkeit russischer Investoren in Österreich ist Gazprom, der größte und mächtigste Konzern Russlands mit rund 500.000 Mitarbeitern und einem Jahresgewinn von rund 28 Milliarden Dollar. Heute sei Wien die Drehscheibe für die wichtigsten russischen Gasaktivitäten in Westeuropa, so Roth. Nicht umsonst meinte der Anwalt des Regimekritikers Michail Chodorkowskij schon 2008: "Wien ist der Abwasserkanal der russischen Geldwäsche. Wir können nicht für Demokratie in Russland kämpfen, wenn wir den Fluss schmutzigen Geldes nach Österreich nicht stoppen können." Ähnliches trifft auch auf andere osteuropäische Länder zu - so sollen sich die ukrainischen Geschäftsinteressen in Österreich auf 1,6 Milliarden Euro an gebunkerten Vermögen belaufen.

Ein Bericht der FATF (OECD-Arbeitsgruppe für Maßnahmen gegen Geldwäsche) von 2009 benennt Risiken  für Österreich durch Bankgeheimnis und "attraktive" Steuerbestimmungen
Was passierte hinter der Fassade der Golden Star Bank?
Zwischen 1982 und 2004 wickelte die Golden Star Bank AG in der Wiener Kaiserstraße Nr. 12 Geschäfte nordkoreanischer Firmen und Personen ab – als einzige Bank des kommunistischen Regimes in der westlichen Hemisphäre. Was genau hinter den Fassaden ablief, konnte nie restlos geklärt werden - jedenfalls war man dort nicht nur Finanzgeschäften nachgegangen.

1997 machten Spekulationen die Runde, der gestürzte Diktator des damaligen Zaires (heute: Kongo), Mobutu Sese Seko, habe vor seiner Entmachtung beträchtliche Barmittel nach Österreich verbracht, berichtete Michael Nikbakhsh in „profil“: „Die Ermittlungen der EDOK (Einsatzgruppe zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität) und der Bankenaufsicht brachten jedoch letztlich kein stichhaltiges Indiz. Erfolglos verlief auch die Suche nach den mutmaßlichen Milliarden des jugoslawischen Ex-Diktators Slobodan Milosevic im Herbst 2000. Bis heute halten sich zudem Gerüchte, der frühere indonesische Machthaber, Haji Suharto, sowie dessen Familie hätten vor 1999 mehrere Milliarden US-Dollar bei einer Reihe ausländischer Banken, darunter auch der Bank Austria, gebunkert. Beweise dafür fehlen freilich.“
Anfang der 1980er Jahre besaß der Waffenhändler Monzer al-Kassar eine Wohnung in der Kaasgrabengasse (Foto: Autor) 
"Unverhältnismäßig ruhig“
Österreich hat einen auf den ersten Blick paradox anmutenden Weg gefunden, für stabile Verhältnisse zu sorgen: Allen potentiellen „Unruhestiftern“ wird ein Umfeld geboten, in dem sie sich wohlfühlen und ungestört ihren Aktivitäten nachgehen können – solange nichts „passiert“ und Österreichs eigene Sicherheit betroffen ist. Dazu hält Emil Bobi in seinem Buch „Die Schattenstadt“ (2014) fest: „Spione sind willkommen und gegen die eine oder andere Gegenleistung erfahren sie alles, was man hier weiß. Dafür wird die Stadt selbst verschont: Die Geheimdienste, die Mafia-Größen, die Großkriminellen, die terroristischen Schläfer und die anderen Schattenfiguren der Macht nutzen Wien als Ruheraum, bringen ihre Schäfchen ins Trockene, genießen das Bankgeheimnis und das einschlägige Verständnis der Stadt für ihre Zielgruppe. Ihren Organisationen ist es strikt verboten, in dieser Stadt aufzufallen oder gar Schießübungen zu veranstalten. Tatsächlich ist Wien, verglichen mit der Dichte der anwesenden einschlägigen Personen, unverhältnismäßig ruhig.“ Auch Florian Horcicka betont, dass in Wien ein Art "unausgesprochenes Abkommen" gilt: "Geschossen wurde lieber in Budapest, Warschau oder Bratislava - in Wien ging und geht es österreichisch-gemütlich ab - meistens jedenfalls." Ungeachtet der Morde an den Geschäftsleuten Sergej Achmedow (1994), Izrael Laster (1996) und dem georgischen Mafia-Paten David Sanikidze (1996) gilt Wien als "sicherer Hafen für Finanz-Jongleure".

Manchmal muss man Farbe bekennen
Wenn es dennoch „laut“ wird und kein anderer Ausweg bleibt, als sich einzumischen, macht die Republik oft keine besonders gute Figur: Als sich 2007 eine junge Ukrainerin unter ungeklärten Umständen auf dem Grundstück der Wiener Villa von Saif Gaddafi (Sohn des gestürzten libyschen Diktators) verletzte, reiste dieser nur wenige Stunden später ab – an Bord des Jets eines österreichischen Bauunternehmers. Die Ermittlungen wurden ohnedies eingestellt. Als 2011 Muammar al-Gaddafis Regime unterging, befanden sich laut Nationalbank 1,2 Milliarden Euro an Spar- und Termineinlagen libyschen Ursprungs auf österreichischen Konten - ein internationaler Spitzenwert.
Ehemalige Mietvilla Saif Gaddafis in Wien-Grinzing (Foto: Autor)
Der lange Arm russischer Interessen wurde am 14./15. Juli 2011 deutlich, nachdem der mit Interpol-Haftbefehl gesuchte ehemalige KGB-Offizier Michael Golowatow am Wiener Flughafen verhaftet worden war. "Vertreter der russischen Botschaft bemühten sich sofort um den Festgenommenen, der Botschafter intervenierte telefonisch um 3.20 Uhr beim Wiener Oberstaatsanwalt Werner Pleischl und konnte eine Überstellung Golowatows in eine Justizanstalt verhindern. Wenige Stunden später war er frei und konnte ein Flugzeug nach Moskau besteigen", berichtete die deutsche "Zeit".

"Züge eines schlechten James-Bond-Films" - die Causa Aliyev
Was die eingangs erwähnten Causa rund um Rakhat Aliyev angeht, so war dieser bis zur Scheidung in Abwesenheit Schwiegersohn des seit 1990 amtierenden kasachischen Präsidenten Nursultan Nasarbajew gewesen. Außerdem war er Hauptaktionär einer der größten kasachischen Banken, der Nurbank. Als zwei Manager dieser Bank 2007 verschwanden, verlangten die kasachischen Behörden von Österreich (wo Aliyev damals Botschafter war) die Auslieferung. Weil erhebliche Zweifel daran bestanden, dass Aliyev ein rechtsstaatliches Verfahren erwartete, wurde dies 2007 und 2011 verweigert. Dreimal soll der kasachische Geheimdienst KNB daraufhin eine Entführung Aliyevs geplant haben. Österreich sei seinem Ruf, "der Tummelplatz schlechthin für Spione aller Herren Länder zu sein", gerecht geworden, merkte Alijev in seiner Verteidigungsschrift "Tatort Österreich" (2013) an: "Die illustren Aktivitäten der kasachischen Geheimdienste nahmen hierzulande nämlich die Züge eines schlechten James-Bond-Films an."

Auszug aus einem Wikileaks-Cable: US-Botschafter wurde 2008 um Mithilfe gebeten, um Alijev von Wien nach Kasachstan zu bringen
Um die guten wirtschaftliche Kontakte zwischen Österreich Kasachstan nicht zu stören, wurde Aliyev 2011 aufgefordert, Österreich zu verlassen. Er tat dies mit einem eigens für ihn ausgestellten Fremdenpass und hielt sich in Malta auf. Erst nachdem der Anwalt Gabriel Lansky für seine Mandanten – ein Unterstützungsverein der Witwen der Mordopfer mit angeblichen Verbindungen zum KNB – massiven Druck auf die Strafverfolgungsbehörden aufbaute, wurde ein Haftbefehl erlassen. Alijev wurde nach seiner Rückkehr nach Österreich im Juni 2014 verhaftet. Die Anklage gegen ihn und zwei kasachische Mitverdächtigen wegen Erpressung, Freiheitsentzug, schwerer Nötigung und Mord hatte das Potential, „eines der größten ­Strafverfahren in der österreichischen Justizgeschichte zu werden“ („Tagesanzeiger“). Doch am 24. Februar 2015 wurde Alijev erhängt in seiner Zelle gefunden.
Kasachische Botschaft in Wien-Döbling (Foto: Autor)
Tod eines Ex-Premierministers, Attentatspläne gegen einen Oligarchen
Mysteriös geblieben ist der Tod des ehemaligen libyschen Premierministers Shukri Ghanem geblieben: Dieser hatte sich nach dem Ausbruch der libyschen Revolution nach Österreich abgesetzt, wo er seit seiner Tätigkeit für die OPEC einen unbefristeten Aufenthaltstitel innehatte. Am 29. April 2012 trieb Ghanem ertrunken in der Neuen Donau. Zuvor soll er laut Staatsanwaltschaft einen Herzinfarkt erlitten haben. Tatsächlich spricht vieles gegen diese offizielle Version, Unter Gaddafi war Ghanem Chef der staatlichen Erdölgesellschaft gewesen und hatte die Kontrolle über zahlreiche libysche Investmentfonds. Laut den Recherchen von Florian Horcicka soll sich Ghanem im Wiener Exil geweigert haben, Gelder an den revolutionären Übergangsrat freizugeben. Daraufhin wurde ein Killerkommando in Marsch gesetzt, Dessen Einreise bzw. die Identitäten der Mitglieder sollen dem Wiener Landesamt für Verfassungsschutz schon im Vorfeld "detailliert" bekannt gewesen sein.
Fundort der Leiche Ghanems an der Neuen Donau (Foto: Autor)
Ende 2014 wiederum machte ein angebliches Mordkomplott gegen den ukrainischen Oligarchen Dmitro Firtasch die Runde. Firtasch, gegen den wegen Veruntreuung von 250 Millionen Dollar ein US-Haftbefehl vorliegt, sitzt bis zur Entscheidung über eine etwaige Auslieferung in Österreich fest. Zwischenzeitlich sollen Killer aus Ungarn und Rumänien eingereist sein, um Firtasch im Auftrag von geprellten Gegnern zu ermorden. Ein Staatsanwalt meinte dazu: „Ich habe mich nicht sonderlich gewundert, denn erstens kommt Firtasch aus dem Osten und zweitens ist viel Geld im Spiel.“

Literatur:
Rakhat Aliyev, Tatort Österreich. The Godfather-in-law II, Wien 2013.
Emil Bobi, Die Schattenstadt. Was 7.000 Agenten über Wien aussagen, Salzburg 2014.
Christina Hipmayr, Rosemarie Schwaiger, Fluchthilfe, in: profil, Nr. 31/2012, 42-46.
Herwig G. Höller, Wes Brot ich ess, in: Die Zeit, Nr. 15/2013.
Florian Horcicka, Das schmutzige Geld der Diktatoren, Wien 2015.
Michael Nikbakhsh, Schmutziges Geld, in: profil, Nr. 40/2001, 56-59.
Jürgen Roth, Gazprom - das unheimliche Ungeheuer. Wie wir Verbraucher betrogen und Staaten erpresst werden, Frankfurt am Main 2012.